You are here
Keine Kleinstaaterei
Die jüngste Diskussion um die Finanzierung wichtiger Rüstungsprojekte hat einmal mehr die Engpässe im deutschen Verteidigungshaushalt aufgezeigt. Noch ist der Start des Airbus A400M finanziell nicht gesichert, da kündigt sich bei der Bewaffnung für den Eurofighter (Stichwort: Meteor-Rakete) neues Ungemach an. Auch im Streit um die Anschaffung des neuen Schützenpanzers "Panther" spielen neben Terminfragen finanzielle Aspekte eine gewichtige Rolle.
Dabei ist der Finanznotstand der Streitkräfte in Deutschland zwar besonders ausgeprägt, letztlich aber geben alle EU-Staaten - mit Ausnahme Grossbritanniens - seit Jahren zu wenig für ihre Verteidigung aus. Die anhaltende Sparpolitik ist nicht ohne Folgen geblieben:
Zum einen weisen fast alle Mitgliedsländer der Union erhebliche Lücken in ihren militärischen Fähigkeiten auf. Ohne die entsprechende Ausrüstung freilich droht die gemeinsame Sicherheits- und Verteidgungspolitik (ESVP) ein Papiertiger zu bleiben. Zum anderen drohen in der wehrtechnischen Industrie wichtige Kompetenzen verloren zu gehen. Die allgemeine Finanzmisere gefährdet nicht nur bereits angelaufene Grossprojekte, sondern auch die für die Zukunfstfähigkeit der Unternehmen entscheidenden Investitionen in Forschung und Technologie.
Dabei ist es unwahrscheinlich, dass sich die finanzielle Situation in absehbarer Zeit entscheidend verbessern wird. Die Euro-Stabilitätskriterien zwingen zur budgetären Zurückhaltung, und Militärausgaben sind beim Bürger wenig populär. Folglich kommt es entscheidend darauf an, die knappen Mittel besser einzusetzen.
Tatsächlich sind alle EU-Staaten seit geraumer Zeit dabei, ihre militärischen Strukturen zu straffen und ihr Beschaffungswesen zu rationalisieren. Das Problem ist allerdings, dass sich diese Reformen auf die nationalen Apparate beschränken, die politische, militärische und industrielle Entwicklung aber längst über den nationalen Bezugsrahmen hinausgegangen ist und nach europäischen Lösungen ruft.
Theoretisch stimmen alle Verantwortlichen darin überein, dass sich Europa enger zusammenschliessen muss, um seine Ressourcen effektiver zu nutzen. In der Realität freilich ist der Rüstungssektor innerhalb der EU nach wie vor eine nationale Domäne. Zwar gibt es projektbezogene Kooperationen und grenzüberschreitende Unternehmenszusammenschlüsse, von einer gemeinsamen Rüstungspolitik freilich kann keine Rede sein. Jedes Mitgliedsland verfolgt seine eigene Beschaffungspolitik, definiert seinen militärische Bedarf in eigener Regie und betreibt - wenn überhaupt - rein nationale Industriepolitik. Diese Kleinstaaterei führt nicht nur zu einer skandalösen Verschwendung knapper Steuergelder, sondern bringt zudem europäischen Unternehmen erhebliche Wettbewerbsnachteile gegenüber der amerikanischen Konkurrenz.
Die sechs wichtigsten europäischen Rüstungsnationen (Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Spanien, Schweden) versuchen seit einigen Jahren im sogenannten LoI-Prozess die Rahmenbedingungen für die zwischenstaatliche Rüstungskooperation zu verbessern. Dies kann allerdings nur ein Anfang sein. Nötig ist ein systematischer und umfassender Ansatz; eine echte europäische Strategie, die alle politischen, militärischen und industriellen Aspekte abdeckt: Wie kommt man zu einer systematischen Standardisierung der Ausrüstungen? Welche industriellen Kapazitäten sind von strategischer Bedeutung und müssen erhalten werden? Welcher instutionelle und ordnungspolitische Rahmen erlaubt die grösste Kosten-Effizienz?
Diese Fragen erscheinen simpel, aber die Antworten darauf sind äusserst komplex. Eines ist sicher: Europa wird die dreifache Herausforderung a) die militärischen Fähigkeiten zu verbessern, b) eine wettbewerbsfähige Rüstungsindustrie zu erhalten, und c) die Euro-Stabilitätskriterien zu respektieren nur bestehen, wenn es in der Rüstungskooperation einen echten Quantensprung wagt.
Von zentraler Bedeutung ist dabei die Schaffung eines gemeinsamen Rüstungsmarktes. Dabei geht es nicht nur mehr Wettbewerb, sondern auch - und vor allem - um die Vereinfachung der grenzüberschreitenden Kooperation. Ähnlich wie bei Dual-Use-Gütern sollten die europäischen Regierungen Exportentscheidungen ihrer Partner anerkennen, damit Rüstungsgüter innerhalb Europas frei verkehren können. Dies würde den Zeit- und Verwaltungsaufwand für Transfers erheblich reduzieren und damit Kosten senken. Die Einführung gemeinsamer Regeln zum Schutz sensibler Informationen und zur nationalen Versorgungssicherheit hätte einen ähnlich positiven Effekt.
Ebenso wichtig ist der Aufbau eines gemeinsamen Beschaffungssystems, das alle Phasen des Produktzyklus (Definition des Bedarfs und der Anforderungen, Forschung und Technologie, Entwicklung, Produktion, Instandhaltung) abdeckt. Die entsprechenden Agenturen müssten über eigene Budgets verfügen und Aufträge eigenständig europaweit ausschreiben können. Bei der Auftragsvergabe könnten transnationalen Firmen und Konsortien eine Präferenz gegenüber nationalen Anbietern erhalten (um zusätzlichen Anreiz für europäische Zusammenschlüsse zu schaffen). Insbesondere strategische Assets (bspw. Satelliten) sollten nach dem AWACS-Modell der NATO gemeinsam angeschafft und betrieben werden.
Diese kleine Auswahl an Massnahmen zeigt, dass eine ernsthafte Reform des europäischen Rüstungssektors eine Vielzahl von politischen und administrativen Bereichen betreffen würde. Umso wichtiger ist es, einen institutionellen Handlungsrahmen zu schaffen, der Kohärenz ermöglicht. Rüstungspolitik sollte daher in die Zuständigkeit der EU kommen.
Dabei gebietet es die Effizienz, über die bisher übliche, rein intergouvernementale Form der Zusammenarbeit hinauszugehen. Rüstungspolitik sollte im EU-Gebäude säulenübergeifend organisiert werden, d.h. Bestandteil der GASP und der ESVP werden, gleichzeitig aber einzelnen Mitgliedsstaaten die Möglichkeit zur verstärkten Zusammenarbeit lassen und der EU-Kommission bestimmte Kompetenzen einräumen. ( bspw. für rüstungswirtschaftliche Verhandlungen mit den USA).
Um eine derartig weitreichende Reform gegen bürokratische Hindernisse und den Widerstand einzelner Interessengruppen durchzusetzen, muss die politische Führung von Anfang an als treibende Kraft agieren. Ebensowichtig ist es, die Ausarbeitung und Umsetzung der einzelnen Massnahmen nicht allein nationalen Behörden zu überlassen, sondern die EU-Kommission einzubeziehen und gezielt den Sachverstand all jener Akteure zu nutzen, die ein Eigeninteresse an mehr Kosteneffizienz haben (insbesondere transnationale Unternehmen und Haushaltspolitiker).
In jedem Fall sollten die sechs LoI-Staaten die Initiative ergreifen, die Rüstungskooperation auf die Agenda der nächsten EU-Regierungskonferenz zu setzen. Dort liesse sich die vertragliche Grundlage für eine Reform des europäischen Rüstungssektors zu schaffen. Sollte die Politik diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen, könnte dies den Streitkräften, der wehrtechnischen Industrie und nicht zuletzt den Steuerzahlern der EU-Staaten teuer zu stehen kommen.