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EU braucht gemeinsame Außenpolitik

28 March 2003

Politisch hat der Irak-Krieg schon heute verheerenden Schaden angerichtet. Vor allem die internationalen Organisationen UN, NATO und EU gehören zu den grossen Verlierern. Besonders prekär erscheint dabei die Lage der Europäischen Union, auf die ausgerechnet in der jetzigen Phase der Zerrissenheit entscheidende Weichenstellungen zukommen: Bis zum Sommer soll der Konvent seine Vorschläge zur künftigen Kompetenzverteilung in der EU unterbreiten. Im zweiten Halbjahr wird eine Regierungskonferenz versuchen, diese Vorgaben in einen neuen Vertragstext zu kleiden, und im Frühjahr 2004 wird die Osterweiterung vollzogen. Im Klartext heisst das: wenn es die EU in den nächsten Monaten nicht schafft, sich an entscheidenden Stellen zu reformieren, wird ihre inhaltliche Weiterentwicklung auf absehbare Zeit unmöglich werden.
Insbesondere die Aussicht auf eine schlagkräftigere Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) hat sich durch den Irak-Krieg dramatisch verschlechtert. Dass das ,,neue Europa" die EU eher als gemeinsamen Markt denn als gemeinsame Macht sieht, ist bekannt. Nach den Erfahrungen der letzten Wochen müssten aber gerade den bisherigen Verfechtern eines stärkeren Europas Zweifel kommen: Warum sollten etwa Deutschland und Frankreich in der Außenpolitik nationale Souveränität an die EU abgeben, wenn Rumsfelds ,,neues Europa" keine eigenständige GASP will? Was bringt ihnen die Einführung von Mehrheitsentscheidungen, wenn sie durch die Erweiterung in eine strukturelle Minderheitenposition geraten? Und weshalb sollen sie sich für Formen der verstärkten Zusammenarbeit stark machen, wenn sie dadurch beim nächsten transatlantischen Zwist Gefahr laufen, dass ihre EU-Partner dieses Instrument gegen sie selbst einsetzen?
Der Streit um den Irak-Krieg wiegt deshalb so schwer, weil er grundsätzliche Divergenzen über den Sinn und Zweck der GASP aufdeckt: Welche Rolle soll die EU in der Welt spielen? Wie viel Autonomie braucht Europa gegenüber den USA? In welchem Verhältnis stehen GASP und nationale Außenpolitik? Die Uneinigkeit der Europäer in diesen Kernfragen ist nicht neu, sie wurde bislang aber geflissentlich ausgeblendet, um wenigstens in Teilbereichen zu einer Zusammenarbeit zu kommen. Diese Herangehensweise hat sich allerdings spätestens mit der Erweiterung erledigt. Solange es bei der rein zwischenstaatlichen Organisation der GASP bleibt, werden auch die findigsten institutionellen Regeln und Mechanismen die Lähmung nicht verhindern können.
Es wird daher Zeit, dass sich die Beteiligten ernsthaft fragen, welches Europa sie wollen. Die EU wirkt in Europa friedensstiftend und wohlstandssichernd. Ihre Mitglieder haben aber auch gegenüber dem Rest der Welt eine Verantwortung: Sei es im Kampf gegen Unterentwicklung, zur Stärkung multilateraler Regime und des internationalen Rechts, bei der Lösung regionaler Krisen oder zum Schutz der Menschenrechte - Europa hat schon aufgrund seiner Wirtschaftskraft und seines kulturellen Erbes die Pflicht, sich aktiv in die Weltpolitik einzumischen. Globale Verantwortung impliziert dabei den Willen, gemeinsam eigenständige Positionen zu entwickeln und offensiv zu vertreten. Dies wiederum setzt den Grundkonsens über Ziele und Mittel voraus. Nationale Sonderwege dagegen sind mit einer europäischen Politik ebenso wenig vereinbar wie automatische Gefolgschaft mit den USA.
Schon auf diese Grundprinzipien werden sich die 25 Mitglieder der erweiterten Union kaum verständigen können. Nicht umsonst taucht daher in jüngster Zeit wieder der Begriff der ,,Avantgarde" in der Diskussion auf. In der Tat scheint allenfalls eine Gruppe Gleichgesinnter in der Lage zu sein, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik mit Substanz zu betreiben. Falls es eine solche Koalition der Willigen gibt, sollte diese nicht zögern, sich enger zusammenzuschließen.
Eine solche Avantgarde kann sich zunächst wohl nur aus Deutschland, Frankreich und Belgien bilden. Allerdings sollte man die Gegensätze zwischen Paris und Berlin nicht unterschätzen. Sie werden sich nur überwinden lassen, wenn beide erkennen, dass sie mehr verbindet als trennt, wie
- das Ziel einer Weltordnung, die auf Multilateralismus und dem Primat des internationalen Rechts beruht,
- das Interesse an einer multipolaren Welt, in der die USA nicht Gefahr laufen, zum Opfer ihrer eigenen Übermacht zu werden,
- die Notwendigkeit, europäische Zusammenschlüsse zu bilden, um international mehr Gewicht und Einfluss zu gewinnen,
- der Zwang sich bilateral zu verständigen, um solche europäischen Zusammenschlüsse zu erreichen.
Um aus der momentanen Übereinstimmung in der Irak-Frage eine dauerhafte Verbindung zu schmieden, müssten die Beteiligten zudem den Mut haben, ihrer Zusammenarbeit eine neue Qualität zu geben. Institutionell wäre es an der Zeit, über die bisherige Form der zwischenstaatlichen Kooperation hinauszugehen und integrierte Strukturen zu entwickeln. Die Vorstellung, nationale außen - und sicherheitspolitische Apparate zu verschmelzen, mag zunächst abwegig erscheinen. Aber ist wirklich undenkbar, dass auf der politischen Leitungsebene ein multilaterales Kollegium gemeinsam Programme erarbeitet, die dann auf der Arbeitsebene von integrierten Einheiten und Stäben umgesetzt werden? Wie sonst lässt sich die Beharrungskraft bestehender Bürokratien überwinden, Handlungsfähigkeit erreichen, und der ständige Rückfall in nationale Reflexe vermeiden? Zudem ginge von einer derartigen Organisation mit Sicherheit stärkere Anziehungskraft auf weitere Länder aus als von traditionellen intergouvernementalen Kooperationen, bei denen es oft mehr um die Durchsetzung nationaler Interessen geht als um effiziente Lösungen.
Allerdings dürfte sich diese Avantgarde nicht in institutionellen Neuerungen erschöpfen. Wenn ihre Legitimation in der Formulierung einer ernsthaften gemeinsamen Politik liegt, erwächst daraus auch die Verantwortung, mehr als inhaltsleere Formelkompromisse zu produzieren und Scheckbuchdiplomatie zu betreiben. Dies wiederum setzt unter anderem voraus, sich die nötigen Mittel zu geben und die Ressourcen für Äußeres und Verteidigung deutlich aufzustocken.
Eine solche Avantgarde wäre durchaus mit EU und NATO vereinbar, weil ihre Gründungsmitglieder voll zu ihren bisherigen Verpflichtungen stünden und ,,lediglich" mit einer Stimme gegenüber ihren Partnern und der Welt sprächen. Dennoch erfordert ihre Gründung natürlich politischen Willen, Fingerspitzengefühl und Mut. Mutige Schritte werden aber nötig sein, wenn Europa bei der Lösung der sicherheitspolitischen Probleme des 21. Jahrhunderts zu echter Mitsprache kommen will.