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Islamistische Realität — Fundamentalisten feiern einen Wahlsieg nach dem andern. Auf welche Strategien soll der Westen nun setzen?
Der Wahlsieg der fundamentalistischen Hamas in Palästina kommt nicht überraschend. Befremden muss eher das ungläubige Erstaunen, mit dem der Wahlausgang im Westen aufgenommen wurde. Schließlich war die jahrzehntelange Misswirtschaft der Fatah selbst Außenstehenden bekannt. Genauso wenig war es ein Geheimnis, dass Hamas aufgrund ihres sozialen Engagements großes Ansehen in der zunehmend verarmenden palästinensischen Bevölkerung genoss. Selbst das Ausmaß ihres Erfolges war nach dem Tod Yasir Arafats vorauszusehen: Wenn Hamas zu seinen Lebzeiten bereits so stark werden konnte, wie dann erst nach seinem Ableben. Allen Anzeichen zum Trotz hat man im Westen die realistische Möglichkeit eines Wahlsieges der Hamas gleich ganz außer Acht gelassen. Ihr Erfolg ist vor allem für die USA und die EU unangenehm, da man sie auf die Terrorliste gesetzt hat und sich damit der Möglichkeit beraubte, mit der wichtigsten und vom palästinensischen Volk legitimierten Partei direkte Gespräche zu führen. Dabei sind diesem Wahlausgang durchaus positive Seiten abzugewinnen. So wurde Fatah, eine der wichtigsten arabischen Parteien, abgewählt - und sie gestand ihre Niederlage auch freimütig ein. Außerdem hat die Hamas mit ihrer Teilnahme an den Wahlen einen weiteren Schritt hin in Richtung politischer Verantwortung getan. Das soll nicht heißen, dass sie sofort ihre Milizen auflösen will und der Gewalt abschwört. Aber die Übernahme von politischer Verantwortung hat bisher im Allgemeinen einen mäßigenden Effekt auf radikale Gruppen ausgeübt. Vielen, vorab den Israelis, mögen diese Aussichten zu wenig sein, doch die Transformation weg von der Gewalt, hin zu einer normalen Partei braucht seine Zeit - und hängt nicht zuletzt von den Reaktionen der internationalen Gemeinschaft ab. Die EU und die USA sollten den palästinensischen Wählerwillen daher ernst nehmen und - bei entsprechendem Verhalten der Hamas - sogar erwägen, diese Organisation von der Terrorliste zu streichen. Zugegeben, für Israel und den Friedensprozess ändert sich zunächst nichts, denn Frieden muss man ohnehin mit seinen Feinden schließen. Daher ist es trotz aller gegenteiligen Rhetorik nun einerlei, ob die Palästinenser von Hamas oder Fatah vertreten werden. Die iranische Wählerschaft wiederum war in ähnlichem Maße von den sozialen Verhältnissen in ihrem Land frustriert wie die palästinensische, was - neben der diskreten Unterstützung des iranischen Machtapparates - ausschlaggebend für den Wahlerfolg von Präsident Mahmoud Ahmadinejad war. Sein Sieg kam zum schlechtest denkbaren Zeitpunkt, dennoch wurde das Wahlergebnis vom Westen respektiert. Doch für den weiteren Verlauf der iranischen Beziehungen zum Westen, ist der Revolutionsromantiker von eher nebensächlicher Bedeutung. Freilich hat er sich in Rekordzeit zum Albtraum all jener politischen Realisten entwickelt, die an die Möglichkeit einer weiteren Mäßigung des Regimes und auf eine schrittweise Einbindung Irans in die internationale Gemeinschaft hofften. Doch das Verhältnis des Iran zum Westen wird auf absehbare Zeit vom iranischen Atomprogramm bestimmt. Bereits die letzten Jahren Mohammad Khatamis waren von dieser Entwicklung überschattet. Deswegen kamen auch die Verhandlungen der E3 der EU (Großbritannien, Frankreich und Deutschland) mit dem Iran schon im Sommer 2005 zum Stillstand. Die diplomatischen Positionen sind seither festgefahren. Sollte der Iran tatsächlich vor den Weltsicherheitsrat gebracht werden, wird die Islamische Republik den Atomwaffensperrvertrag kündigen und die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde des Landes verweisen - wodurch die Weltöffentlichkeit jeglicher Überwachungsmöglichkeit beraubt wäre. Im Fall Iran handelt es sich um einen Staat, der, unabhängig von der jeweiligen Regierung, Regionalmachtansprüche stellt. Diesen Ansprüchen begegnete die EU mit intensiver Diplomatie. Idealerweise hätten diese Bemühungen mit einer großen Verhandlungslösung, in der alle anstehenden Probleme, also Menschenrechte, Terrorismus und die Nuklearfrage, geregelt worden wären, geendet. Iran bot hierzu gute Voraussetzungen, weil leidlich funktionierende demokratische Institutionen wie u.a. freie Wahlen bereits existieren. Freie Wahlen sind aber keine Garantie für konstruktive Wahlergebnisse. In der Tat braucht man sich keine Illusionen machen: Wo auch immer in den letzten Jahren gewählt wurde - von Pakistan bis Palästina - feierten Islamisten große Erfolge. Der Westen ist daher gut beraten, sich auf weitere fundamentalistische Wahlsiege einzustellen. Denn, wenn die Demokratisierung der Region irgendeine Chance haben soll, dann nur über regelmäßige freie Wahlen und Respektieren des Wahlergebnisses. Und zwar auch dann, wenn diese Ergebnisse unangenehm sind, wie es im Iran oder mit Hamas der Fall ist. Respekt vor einem Wahlergebnis ist jedoch kein Blankoscheck für politisches Abenteurertum. Die Islamisten müssen sich wie jede andere politische Kraft Kritik gefallen lassen. Allerdings kann sich diese Kritik nur auf global akzeptierte Grundwerte wie die Menschenrechte beziehen. Kulturell bedingte Kritik, wie zum Beispiel an der Einführung der Sharia zielt meist ins Leere, weil im Normalfall die Regierungen die bereits erfolgte Islamisierung der Gesellschaft im Nachhinein sanktionieren, ohne den säkularen Charakter des Staates nach außen hin aufzugeben. Der Westen kann gegen die friedliche Islamisierung der Gesellschaft kaum etwas ausrichten, gegen Menschenrechtsverletzungen islamistischer Regierungen muß er zumindest protestieren. Bis jetzt wurde mit freien Wahlen die erste Etappe der Demokratisierung genommen. Viele scheinen über die Resultate der Wahlen so schockiert zu sein, dass sie den Wahlkampfgeist wieder gerne in Aladdins Wunderlampe zurückwünschen. Das ist nun nicht mehr möglich. Islamisierung und Demokratisierung kommen als Zwillinge einher und werden die politischen Erfahrungen der heranwachsenden Generation im Nahen Osten prägen. Der Westen muß sich daher an die islamistische Realität so rasch gewöhnen, wie die Regierungen in der Region sich mit regelmäßigen, freien und fairen Wahlen anfreunden müssen.